Ziel der Reise war es, auf dem Kongress Vorträge zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) zu halten, vor Ort mit Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, ins Gespräch zu kommen über Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung zum BGE und das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS), Aktivisten der Russischen Grundeinkommensbewegung zu treffen und den Aufbau einer FRIBIS Gruppe mit Professorinnen und Professoren der Finanzuniversität in Moskau zu beginnen.
In seinem Vortrag zeigte Joseph Stiglitz vieles auf und forderte einiges, worauf ein BGE eine Antwort sein könnte. Er zeigte zum Beispiel, dass die typischen finanziellen Anreizsysteme weder effektiv noch effizient sein, eher sogar kontraproduktiv, dass nicht materielle Anreize mehr Wirkung haben, dass Gesellschaften/Wirtschaften besser funktionieren und mehr erreichen, wenn die Ungleichheit gering ist und wenn gesellschaftliches/wirtschaftliches Handeln die Auswirkung auf andere mit berücksichtigt. Regeln und Normen, so betonte er, spielen eine große Rolle. Er analysierte und beklagte Instabilität und den Vertrauensverlust gegenüber Institutionen durch das ausbeuterische Verhalten des Finanzsektors. Der Sozialvertrag, so Stiglitz, sei gebrochen worden. Unsicherheit verlangsame den Fortschritt, behindere Innovation. Wirtschaftliche Sicherheit erhöhe die benötigte Risikobereitschaft. Die Wirtschaft müsse für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Wirtschaft.
Eine Erneuerung des Sozialvertrages? Vertrauen als gesellschaftliche Basis, mehr Stabilität und wirtschaftliche Sicherheit für alle? Erneuerung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Normen? Weniger Ungleichheit, Zurückfahren des Irrtums, dass finanzielle Anreizsysteme produktive Leistung generieren? Das alles passt zu einer Haltung, die ein bedingungsloses Grundeinkommen in Betracht ziehen kann.
Enno Schmidt erinnerte Herrn Stiglitz daran, dass er 2016 zur Volksabstimmung über die Einführung eines BGE in der Schweiz ein Statement abgegeben hatte: Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei für die Schweiz ein richtiger Schritt.
Diesmal allerdings war seine Meinung zum BGE eher unverständig und ablehnend. Er glaube nicht, sagte er, dass Menschen ohne eine sinnvolle Arbeit glücklich werden. Der Staat müsse dafür sorgen, dass jeder einen bezahlten Job finden kann. Ein Leben ganz ohne Arbeit, vielleicht in spiritueller Versenkung, das sei wohl nur für wenige attraktiv, meinte er. Es fehle außerdem am Geld für so ein Grundeinkommen. Geld sei knapp. Und das Grundeinkommen müsse ja hoch genug sein, um wirklich davon leben zu können.
In Russland ist das bedingungslose Grundeinkommen noch wenig bekannt und wird nicht diskutiert. Wer Geld will soll arbeiten. Gäbe es das Geld einfach so, würden die Leute nicht arbeiten und verkommen. Das ist einhellig und fraglos die Haltung gegen ein BGE. Zudem kommt den Menschen in Russland – wie auch in anderen Ländern des früheren Sowjet-Sozialismus – bei einem BGE als erstes der Kommunismus in den Sinn. Zwischen dem BGE und den Idealen des Kommunismus wird eine Ähnlichkeit gesehen. Unter der Zielsetzung dieser Ideale ist im real existierenden Sowjet-Sozialismus viel Blut geflossen, hat viel Leid und Unterdrückung stattgefunden. Das will man nicht nochmal. Wobei allerdings die Beurteilung der Sowjetzeit nicht so einhellig ist. Manche finden, es sei damals besser als heute gewesen. Man habe mehr Möglichkeiten gehabt, es sei gerechter zugegangen, es seien viele gute Errungenschaften nach dem Ende der Sowjetunion abgebaut worden. Aber auch heute sind die Menschen in Russland stolz auf ihre Leistungen und der Ansicht, dass sie es als Land ein bisschen besser machen als alle anderen. So, wie es die Menschen in anderen Ländern für sich auch in Anspruch nehmen.
Unter Vermittlung von Alexandra Pilyus hat sich in Gesprächen mit Enno Schmidt ein Team hochkarätiger Wissenschaftler der Finanzuniversität für eine FRIBIS-Arbeitsgruppe gefunden.
Die Vorstöße von Vladimir Putin zu einem garantierten Mindesteinkommen, höheren Renten, staatlichen Zuschüsse für Kinder und Familien etc. gehen in die Richtung einer Änderung des Sozialvertrages, in dem ein BGE nicht mehr völlig undenkbar ist, sondern sogar als Vereinfachung, Effektivitäts- und Effizienzsteigerung unter den gesteckten Zielen gesehen werden könnte.