Am 24. Januar 2025 fand an der Fachhochschule Dortmund auf Initiative von Prof. Dr. Ute Fischer ein Fachtag zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen und Soziale Infrastruktur?!“ statt. Veranstaltet wurde die Tagung vom Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund in Kooperation mit FRIBIS, dem Netzwerk Grundeinkommen Deutschland, BIEN Austria sowie dem Netzwerk Care Revolution und dem Verein Solidarisch Sorgen. Wie Ronald Blaschke in seinem Tagungsbericht auf der Website von Netzwerk Grundeinkommen dokumentiert, stieß die Veranstaltung auf großes Interesse: Es nahmen rund 80 Personen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen teil. Einen weiteren informativen Bericht finden Sie auf fh-radar, dem News-Portal der FH Dortmund.

Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen wurden verschiedene Konzepte sozialer Sicherung diskutiert. Von Margit Appel (FRIBIS-Team „care“), die in ihrem Vortrag über „Infrastrukturen der Sorge“ sprach, wollten wir wissen, welche konkreten Verknüpfungen zwischen dem Grundeinkommen und öffentlichen Dienstleistungen ihr im Laufe des Fachtags besonders deutlich wurden:

Mein Beitrag war eine Anfrage an beide Ansätze – UBI und UBS – aus der Perspektive „Infrastrukturen der Sorge. Aspekte von Bedingungslosigkeit“. Beide Ansätze, finde ich, messen geschlechtergerechter Sorgearbeit, entsprechenden Rahmenbedingungen und Einrichtungen nicht die zentrale Bedeutung zu, die sie als „Schauplatz“ für das Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation haben.

Im UBI-Ansatz wird die Trennung von Erwerbsarbeit und Einkommen – anders formuliert die Überwindung des Erwerbsarbeitszwangs – mit guten Gründen als zentraler Hebel für die Transformation des kapitalistischen Gesellschaftssystems gesehen. Die äußerst systemrelevante Organisation unbezahlter Arbeit, ihren Rahmenbedingungen und Institutionen wird fälschlicherweise weniger Bedeutung beigemessen – dies ist ein berechtigter Kritikpunkt am UBI-Ansatz.

Im UBS-Ansatz ist ein veränderter Modus der Produktion und Bereitstellung öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Einrichtungen – mit ebenfalls guten Gründen – der zentrale Hebel für die Transformation des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Die beharrlichen geschlechterhierarchischen Dynamiken von Erwerbsarbeit scheinen demgegenüber weniger wichtig zu sein. Unklar bleibt auch, wie angesichts hegemonialer sexistischer und rassistischer Gesellschaftsmuster benachteiligte Gruppen an den gedachten Prozessen zur Erreichung „Öffentlichen Luxus“ (um dieses ansprechende Bild von Lukas Warning und Kolleg:innen zu zitieren) gleichberechtigt oder sogar ganz besonders beteiligt sein könnten.

In meinem Beitrag habe ich die Frage gestellt, ob auch innerhalb von für die sozial-ökologische Transformation engagierten Gruppen ausreichend darüber nachgedacht wird, was gute, geschlechtergerechte, möglichst diskriminierungsfreie „Infrastrukturen der Sorge“ sein könnten. Ob wir gut genug wissen, was für ein besonderes Tätigsein das Sorgen ist und welche Ressourcen und Rahmenbedingungen es braucht. Ich habe Beispiele dafür gezeigt, wie in der jüngeren Vergangenheit Krisen immer zum umfassenden Zugriff auf das Arbeits- und Sorgevermögen diskriminierter Gruppen, insbesondere Frauen, geführt haben.

In der sozial-ökologischen Transformation geht es um eine Veränderung im Zugang zu Ressourcen: gesunde Umwelt, Einkommen, Zeit, politischen Einfluss, öffentliche Güter und Dienstleistungen, … . Aus meiner Perspektive wird es sowohl ein Bedingungsloses Grundeinkommen als auch Universelle öffentliche Güter brauchen um die bestehende kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden, die zentral darauf beruht, dass bestimmte Personen(gruppen) als diejenigen markiert sind, die besser als andere dafür geeignet sind, die abgewertete Sorgearbeit zu machen.

Tim Sonnenberg: “Wohnungslosigkeit und UBI und/oder UBS?!”
Besonders intensiv wurde das Verhältnis zwischen dem deutschen Konzept der „Sozialen Infrastruktur“ und dem britischen Ansatz der „Universal Basic Services“ (UBS) in ihren jeweiligen Beziehungen zum Grundeinkommen erörtert. Diese Unterschiede sollten sich im Verlauf des Fachtags als zentraler Diskussionspunkt erweisen. Besonders deutlich wurden die verschiedenen Positionen im Zuge einer Debatte zwischen Richard Bärnthaler (Universität Leeds) und Ronald Blaschke (Netzwerk Grundeinkommen, FRIBIS-Team “care”). Dr. Bärnthaler, der den britischen UBS-Ansatz vertrat, begründete seine Kritik am Grundeinkommen wie folgt:
Obwohl sowohl BGE als auch UBS eine verteilungswirksame Wirkung haben können, ist UBS inhärent umverteilender. Beide können über progressive Steuern finanziert werden, doch UBS führt zusätzlich auf der Ausgabenseite zu einer Umverteilung, da einkommensschwächere Gruppen einen höheren Anteil ihres Einkommens für grundlegende Dienstleistungen und Leistungen aufwenden. Natürlich kann argumentiert werden, dass bestimmte BGE-Modelle ebenfalls zusätzliche Verteilungseffekte haben – dies ist jedoch darauf zurückzuführen, dass sie mit weiteren Maßnahmen wie einem Mietendeckel etc. kombiniert werden. Dieses Argument verfehlt jedoch den eigentlichen Kernpunkt: UBS ist per se verteilungswirksamer als BGE, denn auch UBS kann selbstverständlich mit weiteren Maßnahmen ergänzt werden.

Die BGE-Debatte blendet zentrale Fragen der sozial-ökologischen Transformation aus – insbesondere, wie Güter und Dienstleistungen produziert und bereitgestellt werden. Es reicht nicht aus, lediglich die Kaufkraft innerhalb der bestehenden Wirtschaft umzuverteilen, wenn die Wirtschaft selbst – also die Ziele und Strukturen der Bereitstellung – grundlegend transformiert werden muss. Wer kontrolliert die Bereitstellung? Welche Eigentumsverhältnisse bestehen? Wer produziert was, unter welchen Bedingungen und für wen? Diese Fragen stehen im Zentrum der UBS-Debatte. Empirische Evidenz zeigt zudem, dass ein höheres Maß an kollektiver Bereitstellung und öffentlichen Leistungen mit einer besseren Bedürfnisbefriedigung bei gleichzeitig geringerem Energieverbrauch korreliert.

Ein Grundeinkommen kann ein bedeutender Bestandteil eines transformativen und emanzipatorischen Maßnahmenpakets sein – neben UBS und einer öffentlichen Beschäftigungsgarantie. Als primärer Fokus greift dieser Diskurs jedoch zu kurz, um die dringend notwendige radikale wirtschaftliche Transformation zu erreichen.

Dem stellte Ronald Blaschke eine grundlegende Analyse der unterschiedlichen Konzepte gegenüber:

Das deutsche Konzept der ,Sozialen Infrastruktur‘ schließt, anders als das britische UBS-Konzept, die Einführung des Grundeinkommen ein – aus guten Gründen. Ein Ausgangspunkt dieses Konzepts der Sozialen Infrastruktur ist die radikale Ablehnung jeglichen Arbeitszwangs. Ebenso steht ein großer Teil der Grundeinkommensbewegung für eine Komplementarität von Grundeinkommen und universellen, bedingungslosen, also auch weitgehend gebührenfreien Zugängen zu öffentlichen Gütern, Infrastruktur und Dienstleistungen. Insbesondere auch für deren demokratische und nutzer:innenorientierte Ausgestaltung. Viele Feminist:innen, christliche Organisationen, die unabhängige Erwerbslosenbewegung in Deutschland und in anderen Ländern sehen das genauso – ebenso Wissenschaftler:innen im Care- und Ökologiebereich.

Die britischen Protagonist:innen des Konzepts ,Universal Basic Income‘ (UBS) haben vor sechs Jahren ebenfalls die Komplementarität von Grundeinkommen und Basic Services hervorgehoben. Es mehren sich in letzter Zeit aber aus deren Reihen Stimmen gegen diese Komplementarität – auch mit Behauptungen in Bezug auf das Grundeinkommen, die einer Prüfung nicht standhalten. Das Grundeinkommen wäre z. B. nicht so verteilungswirksam wie die UBS, teurer und würde auch Fragen der Produktion und Bereitstellung der öffentlichen u. a. Güter ausblenden. Diese Behauptungen weisen auf einen großen Diskussions- und Aufklärungsbedarf hin, auch auf die nötige Rezeption von Grundeinkommenskonzepten, ebenso aber auch auf die kritische Hinterfragung des jeweilig eigenen Konzepts.

Kritisiert wird am Konzept der Basic Services (BS), dass dieses Konzept entgegen dem Begriff ,Universal Basic Services’ nicht allen Menschen den Zugang zu öffentlichen Gütern usw. eröffnet, sondern in bestimmten Bereichen nur einigen Personengruppen und verbunden mit einer Bedürftigkeitsprüfung. Sie sind also nicht universell. Schon von daher ist die Gefahr gesellschaftlicher Ausgrenzung, Spaltung und entsprechender gesellschaftlicher Ineffektivität groß. Auch müssen viele im BS-Konzept genannten Güter und Dienstleistungen (z. B. Lebensmittel, Wohnung), wenn auch staatlich subventioniert und daher im geringeren Umfang als bisher, weiterhin von den Nutzer:innen selbst bezahlt/gekauft werden. Die behauptete Dekommodifizierung der öffentlichen Güter, Infrastruktur und Dienstleistungen erfolgt schon von daher nicht, aber auch deshalb nicht, weil diese öffentlichen Güter und Dienstleistungen weiterhin (arbeits-)markt- und warenförmig produziert und vom Staat gekauft werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Themen Arbeitszwang generell und der Bedingungslosigkeit von Sorge-Arbeit speziell im BS-Ansätzen nicht problematisiert, auch nicht politisiert werden. Einige BS-Vorschläge mit ergänzenden bedingten Geldtransfers laufen darüber hinaus Gefahr, soziale Beziehungen bis tief in die lebensweltliche und private Sphäre hinein zu monetarisieren.

Foto 1: Prof. Dr. Ute Fischer (rechts) und Studierende des Masters “Soziale Nachhaltigkeit und demografischer Wandel”, die tragenden Organisator:innen des Fachtags / Foto 2: Vortrag David Petersen: “BGE und Postwachstum: Wege zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft?”

Die Intensität dieser Auseinandersetzung überraschte selbst die Moderatorin Dr. Verena Löffler (FRIBIS-Team “care”):

Mich hat vor allem überrascht, mit welcher Vehemenz die Diskussion zwischen BGE und UBS-Befürworter:innen geführt wurde. Kritik fungiert meiner Auffassung nach als Medium der Wissenschaft und hat eine durchaus gewinnbringende Funktion, allerdings nur wenn man die Gegenseite wirklich hört. Ich hoffe, dass der Fachtag dazu beitragen konnte.

Abschließend lässt sich feststellen, dass nicht allein die hohe Teilnehmendenzahl von rund 80 Personen vom großen Interesse an der Thematik zeugt, sondern auch die intensive und teils kontroverse Diskussion die Bedeutung der Frage verdeutlicht, wie verschiedene Ansätze sozialer Sicherung zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können. „Viel Arbeit, großer Ertrag!“ resümiert Ute Fischer nach der Veranstaltung. „Besonders gut gefallen hat mir die starke Beteiligung der jungen Generation an der Veranstaltung sowohl von studentischer Seite als auch mit den jungen Referent:innen, die neue Anregungen in die Debatte um soziale Gerechtigkeit und sozial-ökologische Transformation bringen.“ So sah es auch Ronald Blaschke: „Die Fachtagung war ein Auftakt für eine fruchtbare Diskussion über die theoretische Fundierung und politische Gestaltung von Sozialen Garantien inkl. Grundeinkommen und Sozialer Infrastruktur bzw. Basic Services. Möge sie im Sinne einer gegenseitigen Beförderung erfolgen.“