Am 6. Juli 2024 feierte das Netzwerk Grundeinkommen sein 20-jähriges Bestehen im Leipziger Budde-Haus mit einer Reihe von Vorträgen, Diskussionen und Panels. Die Veranstaltung, bei der je nach Programmpunkt etwa 60-70 Personen anwesend waren, brachte verschiedene Generationen von Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und interessierten Bürger:innen zusammen und bot eine Kombination aus Vorträgen, Gesprächen, Vernetzung und Festivitäten. Dr. Verena Löffler, Franziska Leopold und Tobias Dumschat, die am FRIBIS in unterschiedlichen Teams forschen, trugen als Panel-Teilnehmende zur Veranstaltung bei.

Grundeinkommen und Pflege

Tobias Dumschat (Koordinator des FRIBIS-Teams care), Doktorand am FRIBIS, beteiligte sich an der Diskussion zum Thema „Arbeit – Care – Grundeinkommen“, die von 14:15 bis 16:00 Uhr stattfand. Er präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse aus seiner qualitativen Studie zur Frage, ob pflegende Angehörige ein Grundeinkommen brauchen. Seine Untersuchung nimmt nicht-verrentete pflegende Angehörige in den Blick, die sich um altersbedingt pflegebedürftige Personen kümmern. Tobias Dumschat stellte seine Ergebnisse zur Debatte, wie ein Grundeinkommen die Handlungsmöglichkeiten dieser Gruppe verändern könnte und stellte die subjektiven Einschätzungen der Betroffenen vor.

Seine Erfahrung als Vortragender im Rahmen der Jubiläumsfeier fasst er wie folgt zusammen:

Tobias Dumschat
Mit großer Freude habe ich meine noch unveröffentlichten Forschungsergebnisse bei der 20-Jahresfeier des Netzwerks Grundeinkommen vorgestellt. Nach langen Monaten der Einsamkeit war es nun an der Zeit, die Ergebnisse zu kommunizieren. Umso erfreulicher war es, dies mit einem so interessierten Publikum tun zu können. Die Diskussion mit Margit Appel, Barbara Prainsack und Elfriede Harth sowie die Anmerkungen des Publikums haben mich sehr inspiriert. Anschließend teilten wir uns in kleinere Gruppen auf, sodass Interessierte nochmal im Detail auf Grundlage der Forschungsergebnisse diskutieren konnten. Aus dieser Gesprächsrunde nehme ich viele Anregungen mit, die ich für die Fertigstellung meiner Forschungsarbeit berücksichtigen kann. Insgesamt war es ein hervorragender Tag und ein spannendes Panel.

Wohnungslosigkeit und Grundeinkommen

Dr. Verena Löffler (Mitglied des FRIBIS-Teams care), präsentierte von 16:15 bis 17:15 Uhr Forschungsergebnisse zum Thema „Wohnungslosigkeit und Grundeinkommen“. In ihrem Vortrag ging sie der Frage nach, ob ein Grundeinkommen die die Lebenssituation der am wenigsten Begünstigten verbessert. Sie stellte Ergebnisse aus verschiedenen Projekten vor, die darauf hindeuten, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen als präventive Maßnahme gegen Wohnungslosigkeit wirken könnte. Verena Löffler erlebte die an ihren Vortrag anschließende Diskussion als „sehr produktiv“:

Vor allem habe ich mich gefreut, dass die von mir aus der Theorie abgeleiteten Schlussfolgerungen von Praktizierenden in der Wohnungslosenhilfe bekräftigt wurden. Einen Knackpunkt in der Debatte identifizierte Sandy Feldbacher vom Straßenmagazin KIPPE. Feldbacher wies auf die Problematik der Zugänglichkeit des aktuellen Sozialsystems für Zuwandernde aus der EU hin und fragte, ob sich dies mit einem Grundeinkommen ändern würde. Damit legte sie meiner Meinung nach den Finger in die Wunde einiger Grundeinkommensbefürworter, da die Kalkulation zur Finanzierbarkeit eines BGE vom DIW beispielswiese auf der Annahme basiert, dass die aktuellen Beschränkungen beibehalten werden. Auf der Veranstaltung versicherten einige Anwesende, dass die von Ihnen beworbene Grundeinkommensversion alle Bewohner eines Gebiets umfassen würde, unabhängig davon ob diese sich legal oder illegal dort aufhielten. Ein weiterer interessanter Aspekt der Diskussion kam auf, als aus dem Publikum die Frage gestellt wurde, warum diejenigen, die vermutlich am meisten von einem Grundeinkommen profitieren, oft dagegen seien. Der ehemals von Wohnungslosigkeit betroffene Chriss sagte daraufhin, dass ein gewisses Misstrauen gegenüber der Bedingungslosigkeit der Zahlung bestünde. Die Idee, dass Geld ohne Gegenleistung ausgezahlt würde, sei für viele wohnungslose Menschen nur schwer vorstellbar. Normalerweise müssten sich wohnungslose Personen für Geld immer „nackig machen“, schlimmstenfalls im wörtlichen Sinne, mindestens jedoch im übertragenen gegenüber den Behörden.

Dr. Verena Löffler
Verena Löffler im Gespräch mit Chriss (Wohnungslosenaktivist)

Öffentliche Meinung zum Grundeinkommen und NGO-Strategien

Franziska Leopold (Koordinatorin des FRIBIS-Team MUBINGO), wissenschaftliche Mitarbeiterin am FRIBIS, präsentierte von 17:30 bis 18:15 Uhr ihre Studie zum Thema „Zustimmung und Positionierungen zum Grundeinkommen – Hinweise für erfolgreiche Strategien von NGOs“. Ihre Forschung befasst sich nicht nur mit der öffentlichen Meinung zum Grundeinkommen, sondern auch mit den Herausforderungen von Ehrenamtlichen innerhalb der deutschsprachigen Grundeinkommensbewegung, die sich um effektive Strategien bemühen, die Zustimmung zum Grundeinkommen zu erhöhen. In ihrem Vortrag stellte sie die Ergebnisse ihrer Analyse vor, die verschiedene demographische Gruppen untersucht und Faktoren identifiziert, die die Zustimmung zum Grundeinkommen beeinflussen.

Wie Franziska Leopold berichtet, wurde ihr Vortrag sehr gut aufgenommen. Einige Teilnehmende hätten sich im Anschluss an den Vortrag erkundigt, ob die Informationen bereits öffentlich seien. Besonders interessiert seien die Zuhörenden an der Frage gewesen, wie ein Grundeinkommen geframt werden könnte, um die öffentliche Akzeptanz zu erhöhen. Ihre Forschungsergebnisse hätten die Arbeit der NGOs bestärkt, indem sie gezeigt hätten, dass das Wissen in der Gesamtbevölkerung über das Grundeinkommen noch eher gering sei:

 

Was mir für den wissenschaftlichen Diskurs deutlich wurde: es ist wichtig, dass man Ergebnisse nochmal auf deutsch kurz und knapp aufbereitet bzw. den NGOs zur Verfügung stellt, um den gesellschaftlichen Austausch zu fördern. Zum Nachdenken regte die Aktivist:innen meiner Meinung nach insbesondere an, dass diejenigen, die am stärksten vom Grundeinkommen profitieren würden (Menschen mit geringem Einkommen sowie Frauen), am wenigsten aktiv sind, was sich mit den Erfahrungen der Aktivist:innen allgemein deckte. Zudem sind vor allem jüngere Menschen tendenziell eher weniger aktiv. Ich hatte den Eindruck, dass einige der Aktivist:innen meine Vorschläge, diese möglicherweise besser zu erreichen (mehr einmalige, weniger formale und breite Aktivitäten anbieten, vielleicht über Wettbewerbe/Kunst, Zusammenarbeit mit der Umweltszene etc.), zumindest gedanklich Anklang fanden.

Die Perspektive des Netzwerks Grundeinkommen auf die Zusammenarbeit von Aktivismus und Wissenschaft

Wir haben Ronald Blaschke, Mitbegründer und langjähriges Mitglied des Netzwerks Grundeinkommen, gefragt, welche Rolle aus seiner Sicht die Zusammenarbeit von Forschung und Aktivismus für die zukünftige Entwicklung der Grundeinkommensbewegung spielt und welche Erfolge die aktivistische Arbeit der letzten 20 Jahre für sich beanspruchen kann. Ronald Blaschke ist seit 30 Jahren in sozialen Bewegungen aktiv, davon 20 Jahre in der Grundeinkommensbewegung. Er hat zum Grundeinkommen publiziert, Lehraufträge wahrgenommen und sowohl beruflich im Deutschen Bundestag als auch ehrenamtlich im Netzwerk Grundeinkommen mit Wissenschaftler:innen und wissenschaftlichen Institutionen zusammengearbeitet.

Ronald Blaschke
Wissenschaft und soziale Bewegung können sich gegenseitig befruchten: Wissenschaft kann lernen, was die für die sozialen Bewegungen relevanten Themen, Fragen und Antworten sind. Soziale Bewegungen können eigene Themen und Antworten kritisch prüfen, wissenschaftsbasiert untersetzen. Der dialogische Austausch zum Grundeinkommen und zu angrenzenden Themen ist wichtig. Der erfolgt zu wenig, muss gefördert und verstetigt werden.

Fehlende Übersicht über Wissen zum Grundeinkommen? 

Ein Problem sieht er jedoch in der Wahrnehmung des bereits vorhandenen Wissens in der Grundeinkommensbewegung durch Forschende:

Margit Appel, Barbara Prainsack, Ronald Blaschke
Leider musste ich auch feststellen, dass einige Wissenschaftler:innen nicht wahrnehmen, was in der Grundeinkommensbewegung bereits für ein Wissen angehäuft worden ist. So stellten z. B. renommierte, grundeinkommensaffine Wissenschaftler:innen in einer jüngeren Publikation rund 50 Fragen zum Grundeinkommen, die angeblich beantwortet werden müssten. Zwei, drei Blicke in Publikationen der Grundeinkommensszene geworfen, hätten erfasst, dass die Antworten zum großen Teil schon längst gegeben waren. Daran hätten diese Wissenschaftler:innen, gern auch kritisch, anknüpfen können. Ein Ärgernis.

Hinweis der Redaktion: Das Netzwerk Grundeinkommen hat kürzlich eine umfassende Literaturliste zum Thema Grundeinkommen veröffentlicht. Diese Liste umfasst über 1.300 Titel deutschsprachiger Werke zum Grundeinkommen und stellt damit die bisher umfangreichste Übersicht in diesem Bereich dar. Die Liste ist öffentlich zugänglich und wird von der AG Literatur des Netzwerks Grundeinkommen laufend aktualisiert.

Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit

Blaschke betonte auch die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit:

Eröffnung der Feier
Wenn Wissenschaft Wissen verbreiten und öffentlich diskutieren will, muss sie in der Lage sein, mindestens zwei „Sprachen“ zu sprechen: eine innerwissenschaftliche, auch weltweit verständliche, also in der Regel englische, Fachsprache. Sie muss ebenso in einer „Alltags“sprache und in jeweiliger Landessprache vortragen, publizieren und diskutieren. Das gilt auch für die Grundeinkommensforschung. Sonst verschenkt sie Potentiale. Luther hat die Bibel übersetzt – das war eine Revolution.

Fazit

Die Jubiläumsfeier unterstrich, dass der kontinuierliche Dialog zwischen Forschung und Aktivismus enorm wichtig ist, um die Grundeinkommensidee beständig weiterzuentwickeln. Darüber hinaus bezeugte die Veranstaltung einmal mehr die Notwendigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse allgemeinverständlich zu vermitteln, um eine breite gesellschaftliche Debatte über das Grundeinkommen anzuregen.