Im Wintersemester 2024/25 fand an der Universität Wien eine Ringvorlesung zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen – Baustein für gesellschaftliche Transformation und Politikgestaltung“ statt. Die von Prof. Dr. Barbara Prainsack geleitete und in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Grundeinkommen und Sozialer Zusammenhalt (BIEN Austria) organisierte Vorlesungsreihe schlug eine Brücke vom BGE zu einer Vielzahl verschiedener Themen – von den Grundlagen des österreichischen Sozialstaats über Care-Arbeit und künstliche Intelligenz bis hin zu praktischen Fragen der konkreten Politikgestaltung.

Mehrere Mitglieder des FRIBIS-Teams „care“ waren mit eigenen Vorträgen und als Kommentierende an der Vorlesungsreihe beteiligt: Margit Appel kommentierte am 9. Oktober 2024 eine umfassende Analyse des österreichischen Sozialstaats, Prof. Dr. Ute Fischer referierte am 23. Oktober 2024 zum Themenkomplex Arbeit – Care – Grundeinkommen, während Dr. Verena Löffler den Vortrag kommentierte; Ronald Blaschke sprach am 27. November 2024 über die Unterschiede zwischen emanzipatorischen und so genannten neoliberalen BGE-Konzepten, und Gudrun Kaufmann stellte am 15. Januar 2025 Szenarien zum Grundeinkommen aus der Perspektive der narrativen Ökonomik vor.

Von links nach rechts: Prof. Dr. Barbara Prainsack, Prof. Dr. Ute Fischer, Dr. Verena Löffler

Verena Löffler betonte in ihrem Vortrag die Notwendigkeit, marginalisierte Gruppen stärker in den Grundeinkommensdiskurs einzubeziehen:

Die Grundeinkommensdebatte muss marginalisierte Gruppen stärker in den Fokus nehmen, da die Maximin-Verteilungsregel, auf der viele der gerechtigkeitstheoretischen Rechtfertigungen für ein Grundeinkommen basieren, dazu auffordert, diejenigen, die am wenigsten begünstigt sind in unserer Gesellschaft, prioritär zu berücksichtigen. Konkret wird das in der Grundeinkommensdebatte nur insofern getan, als Menschen berücksichtigt werden, die aktiv an der Gesellschaft und vor allem am formalen Erwerbsleben teilnehmen. Weniger wird diskutiert, wie ein Grundeinkommen Menschen beeinflussen könnte, denen die soziale Teilhabe aktuell verwehrt bleibt. Das ist ein Manko, das ausgebügelt werden sollte.

Dr. Verena Löffler

Wie sich Arbeit, Care und Grundeinkommen zu einem zeitgemäßen Sozialstaatsverständnis verhalten, haben wir Ute Fischer gefragt:

Care ist grundlegend für das Funktionieren von Gesellschaft. Fürsorge lässt sich familiär, beruflich sowie zivilgesellschaftlich leisten. Entsprechend dieser Bedeutung und Vielfalt muss ein Sozialstaat Möglichkeiten gewähren, um Fürsorge leisten zu können – Männern wie Frauen, alt wie jung. Das jetzige Sozialsystem diskriminiert Fürsorgende, indem die Care-Tätigkeiten entweder schlecht bezahlt oder gar unbezahlt verrichtet werden, und es diskriminiert Frauen, weil sie den Großteil (unbezahlt oder schlecht bezahlt) übernehmen. Mit einem BGE haben alle Menschen eine gute Absicherung, um so viel wie nötig und in Formen, die möglich sind, Fürsorge nachzugehen. Sie könnte ihr sinnstiftendes Potenzial entfalten, ohne dass man um seinen Unterhalt fürchten muss.

Um Grundsatzfragen ging es auch im Vortrag von Ronald Blaschke. Wie die grundlegenden Unterschiede zwischen emanzipatorischen BGE-Konzepten und sogenannten neoliberalen Grundeinkommensmodellen aussehen, auf die er in seinem Vortrag zu sprechen kam, beantwortet er wie folgt:

Es gibt keine neoliberalen Grundeinkommenskonzepte, lediglich solche Vorschläge für partielle Grundeinkommen. Weitere zentrale Unterschiede zwischen neoliberalen Vorschlägen für partielle Grundeinkommen und emanzipatorische Grundeinkommensansätzen bestehen in der grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Zielsetzung, Ausrichtung und entsprechenden Ausgestaltung der jeweiligen Konzepte.

Während neoliberale Ansätze auf optimale Bedingungen für das Funktionieren des Marktes zielen, haben emanzipatorische Ansätze die gänzliche Überwindung, mindestens aber die politische und demokratische Überwindung der Dominanz der Marktwirtschaft zum Ziel. Vereinfacht ausgedrückt: Emanzipatorische Ansätze zielen auf Dekommodifizierung und Demokratisierung der (Re)Produktion, der gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Beziehungen, implizit aus ökologischen Gründen auch auf eine Dekarbonisierung und Dematerialisierung dieser (Re)Produktion. Damit verbunden ist bei emanzipatorischen Ansätzen eine Markt- und Staatskritik, bei neoliberalen Ansätzen lediglich eine Staatskritik, um Marktmechanismen besser wirken zu lassen. Das hat auch Folgen für das jeweilige Verhältnis zum Sozialstaat: In neoliberalen Transferkonzepten soll der Sozialstaat abgebaut werden. In emanzipatorischen Ansätzen soll der Sozialstaat zu einer Absicherungsinstitution zwecks Beförderung individueller Befähigungen und solidarischer Kooperationen umgewandelt werden.

Ronald Blaschke

Den Abschluss der Vorlesungsreihe bildete am 15. Januar 2025 ein Vortrag von Gudrun Kaufmann zu „Szenarien zum Grundeinkommen aus der Perspektive einer narrativen Ökonomik“, kommentiert von Manfred Füllsack. Der Vortrag machte deutlich, inwiefern die spätestens seit Robert Shillers Narrative Economics: How Stories Go Viral & Drive Major Economic Events (2019) vieldiskutierte wirtschaftliche Bedeutung von Narrativen auch für die Grundeinkommensdebatte relevant ist.

 

Gudrun Kaufmann (rechts)

Damit die Inhalte der gesamten Ringvorlesung einem breiteren Publikum zugänglich werden, sollen sie in den kommenden Monaten in Form von Podcasts von Studierenden aufbereitet werden. Weitere Informationen folgen.