Die FRIBIS-Jahrestagung 2024: Ein Rückblick
Die FRIBIS-Jahrestagung 2024 fand vom 7. bis 9. Oktober an der Universität Freiburg statt. Unter dem Titel „Towards the development of a full UBI? Perspectives on partial approaches in different welfare systems“ brachte die Konferenz über 40 Vortragende und 79 registrierte Teilnehmende zusammen, wobei das hybride Format sowohl die Teilnahme vor Ort als auch online via Zoom möglich machte. In acht Sektionsblöcken mit jeweils bis zu drei parallelen Veranstaltungen wurden zentrale Fragen des Grundeinkommensdiskurses verhandelt – von partiellen Grundeinkommensansätzen über ökologische Perspektiven bis hin zu geschlechterspezifischen Aspekten. Die vier Keynotes der Tagung hielten Alexander Spermann (FOM Hochschule Köln), Jörg Althammer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Bernhard Neumärker (FRIBIS) und Fabio Waltenberg (Universidade Federal Fluminense, Brasilien), die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Umsetzbarkeit und den Herausforderungen von Grundeinkommensmodellen befassten.
Fotos: Elza Loginova
Die thematischen Schwerpunkte der Tagung
Die Tagung war in drei thematische Schwerpunkte gegliedert: Im ersten Themenbereich ging es um das BGE als soziale Grundsicherung und dessen Rolle im Wohlfahrtsstaat. Hier stand besonders das Verhältnis von Bedingungslosigkeit und gezielter Unterstützung vulnerabler Gruppen zur Diskussion. Der zweite Schwerpunkt widmete sich der Verbindung von Grundeinkommen und Nachhaltigkeit, wobei Ansätze wie Klimadividenden und CO2-Besteuerung im Mittelpunkt standen. Der dritte Themenblock gab internationalen Perspektiven Raum und untersuchte die Möglichkeiten supranationaler BGE-Modelle wie etwa einer europäischen Grundeinkommensdividende.
Die thematische Vielfalt der Tagung erwies sich als ebenso bereichernd wie anspruchsvoll, wie unter anderem Simon März berichtete, Mitglied des FRIBIS-Teams XUBI: „Für mich persönlich bestand eine der größten Herausforderungen darin, die Vielfalt der Themen und die dahinterliegenden Konzepte gut zu verarbeiten und einzusortieren. Dies erforderte meiner Wahrnehmung nach noch ein Quäntchen mehr an mentaler Arbeit als auf Konferenzen, die sich auf einen singulären Sachverhalt fokussieren.“ Die Bandbreite der Diskussionen hob auch Ulrich Schachtschneider hervor, Energieberater, freier Sozialwissenschaftler und Mitglied im FRIBIS-Team UBITrans. Positiv überraschte Schachtschneider die „Thematisierung von Narrativen“ durch Gudrun Kaufmann vom FRIBIS-Team care. Als intellektuell besonders anregend empfand er zudem die von Prof. Bernhard Neumärker aufgeworfene Diskussion zur „libertarian trap/authoritarian trap“ im Kontext verschiedener Freiheitskonzepte und deren Bedeutung für den Grundeinkommensdiskurs.
Fotos: Elza Loginova
Kontroverse um partielle Grundeinkommensmodelle
Der erste Themenkomplex „BGE als soziale Grundsicherung und/odersocial protection floor“ widmete sich der kontroversen Debatte um partielle Grundeinkommensmodelle. Während Spermann in seiner Keynote für ein partielles BGE als realistische Option für Deutschland plädierte, verwies Althammer in seiner Keynote auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Zielsetzungen: Verteilungsgerechtigkeit, fiskalische Machbarkeit und ökonomische Effizienz ließen sich nicht gleichzeitig optimal erreichen. Auch eine andere Grundsatzdebatte erwies sich als echte Herausforderung, wie Verena Löffler, Mitglied des FRIBIS-Teams care, berichtet:
Die Argumentation, dass es aus aktivistischer Perspektive sinnvoll ist, ein Grundeinkommen unabhängig von der konkreten Höhe einzuführen, die zum Beispiel ein Existenzminimum sichern soll, ist auf viel Widerstand gestoßen. Diese Reibung innerhalb der Forschungsgemeinschaft (und auch unter den Aktivist:innen) diesbezüglich kann gewinnbringend, aber auch spaltend sein.
Verfassungsrechtliche Hürden im Fokus
Neben der grundsätzlichen Debatte um partielle versus vollständige Grundeinkommensmodelle wurden auch konkrete Umsetzungshürden thematisiert. Besonders herausfordernd gestaltete sich ein Workshop zu verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der BGE-Einführung, wie Co-Moderator Otto Lüdemann, Prof. em. für Erziehungswissenschaften an der HAW Hamburg, berichtet:
Von dieser Thematik kann ich zwar sagen, dass sie mich persönlich in hohem Maße interessiert, teilweise sogar fasziniert, muss aber andrerseits zugeben, dass ich selber weder Jurist, noch gar Verfassungsrechtler bin. Insofern war es umso misslicher, dass ein zu dem Workshop eingeladener, ausgewiesener Experte, nämlich Dr. Maximilian Bauer, der Leiter der ARD-Rechtsredaktion beim SWR in Karlsruhe, leider verhindert war und absagen musste. Auch unter den interessierten Teilnehmenden fand sich niemand, der diese Lücke eventuell hätte schließen können. Jedenfalls verfügte weder ich, noch auch mein Co-Moderator, Herr Neumärker, über ausreichendes, diesbezügliches Expertenwissen, um insbesondere einem Teilnehmer Paroli zu bieten, der bestimmte in meinem Einleitungsbeitrag zitierte gutachterliche Aussagen von Autoren des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2016 in Zweifel zog. Konkret ging es um die These, wonach es derzeit an einem geeigneten, grundgesetzlichen ,Kompetenztitel‘ für die Einführung eines BGE mangelt, immerhin eine These mit potenziellen, weit-reichenden Konsequenzen. Für den Fall, dass sich eines Tages der politische Wille zur Einführung eines BGE abzeichnen sollte, könnte dieser Umstand ja in der Tat die Umsetzung eines solchen politischen Willens, wenn nicht dauerhaft, so zumindest doch auf Jahre blockieren.
Als konstruktiven Ausweg schlug Lüdemann vor, die verfassungsrechtliche Problematik in einem ARD-Podcast mit Experten und Vertretern des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu vertiefen.
Fotos: Elza Loginova
BGE und ökologische Transformation
Der zweite Themenschwerpunkt der Tagung bestand in der Frage, wie Grundeinkommen und ökologische Nachhaltigkeit zusammen gedacht werden können. Dabei wurden verschiedene Instrumente diskutiert, die sowohl soziale Sicherheit als auch ökologische Transformation unterstützen könnten – von Klimadividenden bis hin zu speziellen Grundeinkommensmodellen für den Naturschutz. Besonders beeindruckt zeigte sich Simon März von der Arbeit des FRIBIS-Teams BINC:
Deren Ansatz, durch Grundeinkommenszahlungen der ökologischen Degradation systematisch entgegenzuwirken, fand ich vielversprechend. Interessant an der Arbeit des FRIBIS-Teams erschien mir vor allem auch, dass es dieses Konzept an verschiedenen Orten wie Indonesien, Kambodscha und Indien erforscht. Somit wird es in verschiedensten Kontexten untersucht und ich bin gespannt, was die Forschungsprojekte des Teams für Ergebnisse liefern werden.
Internationale Perspektiven und globale Implementierungen eines BGE
Die internationale Dimension der Grundeinkommensforschung, die sich exemplarisch am BINC-Projekt zeigt, stand im Mittelpunkt des dritten Themenschwerpunkts der Tagung. Einen besonderen Einblick bot hier Fabio Waltenberg in seiner Keynote zum „Citizens Basic Income“ in der brasilianischen Stadt Maricá. In dieser Stadt mit rund 200.000 Einwohner:innen erhalten fast 50% der Bevölkerung eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens, das in einer lokalen Währung („mumbuca“) ausgezahlt wird. Auch andere internationale Implementierungen des Grundeinkommens standen im Fokus: Verena Löffler hob besonders die Panel-Diskussion zur Grundeinkommensstudie in Indien hervor, die sie fasziniert habe:
Die Forscher:innen waren mehrere Monate vor Ort und der Aufbau des Experiments lässt auf spannende Ergebnisse hoffen. Die qualitative Herangehensweise der Forscher:innen aus Großbritannien halte ich in diesem Zusammenhang für besonders vielversprechend.
Fotos: Elza Loginova
Fazit
Die diesjährige FRIBIS-Jahrestagung erwies sich einmal mehr als produktives Forum des Austauschs zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Teilnehmenden hoben besonders die Vielfalt der diskutierten Konzepte und Ideen hervor, von denen alle Beteiligten profitieren konnten. Der kollegiale Charakter der Veranstaltung, die von Ulrich Schachtschneider nicht umsonst als „Familientreffen“ bezeichnet wurde, tat der inhaltlichen Tiefe keinen Abbruch. Besonders positiv wurde allgemein die Verbindung verschiedener Perspektiven aufgenommen, etwa die Verknüpfung von Care-Arbeit und Gender-Aspekten mit der Grundeinkommensdebatte oder die Diskussion ökologischer Transformationspotenziale. Die aufgeworfenen Fragen – von der Kontroverse um partielle Grundeinkommen über verfassungsrechtliche Hürden bis hin zur Verbindung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit – werden den Grundeinkommendiskurs auch weiterhin prägen.
Zu guter Letzt sei der Sin Carne Schwarzwald GmbH für ihr ausgezeichnetes veganes Catering sowie Elza Loginova für ihre professionelle fotografische Dokumentation der Tagung besonderer Dank ausgesprochen.