Video Interview mit Prof. Dr. Bernhard Neumärker

Hierzu das ausführlichere schriftliche Interview mit Prof. Neumärker.

Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Coronakrise besser helfen als die vom Staat gewährten Stundungen und Kredite?

Prof. B. Neumärker: Ja. Statt des ständigen Nachbesserns aufgrund neuer Hilfsnotwendigkeiten und der teilweise künstlichen Regeln für die Gewährung von Geldern träte eine unbedingte Absicherung für alle. Meine Idee eines Netto-Grundeinkommens (NGE) sieht vor, dass jede Person in der Bevölkerung während der Krisenzeit monatlich und bedingungslos € 500-700 bekommt, und dass Miet- und Kreditzahlungen ausgesetzt werden. Erst nach der Krisenzeit können sie wieder aufgenommen werden. Netto meint also: ohne Miet- und Kreditzahlungen. Das ausgezahlte NGE zuzüglich (ausgesetzte) Miet-, Zins- und Tilgungsleistungen ergibt den Bruttobetrag, der dann für ein Grundeinkommen außerhalb von Krisenzeiten als Orientierungspunkt dienen kann. Vermieter und Kreditgeber sowie deren Angestellte bekommen in der Krise selbstverständlich auch ein NGE.

Auf diese Weise müssen keine Kredithilfen oder Transfers gegeben werden, um ganz im Sinne herkömmlichen Denkens Miete und Kredite bezahlen zu können. Denn diese Einkunftsarten können mit der NGE-Einführung “stillgelegt” werden.

Zinseinnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Geldverleih sind aus ordnungspolitischer Sicht “leistungslose Einkommen”, die in der Krise nicht vorzüglich zu bedienen sind.

Statt im Einzelfall Miet- und Kreditstundungen zu ermöglichen bzw. auszuhandeln, ist dies mit dem NGE von vorneherein und für alle grundsätzlich geregelt.

Damit wird vielen Selbständigen, Kleinunternehmern und Start-Ups unter die Arme gegriffen, aber auch jeder andere hat eine Grundsicherheit, wenn die Krise ihn arbeitseinkommensmäßig trifft. Kredithilfen sind in weit geringerem Maße nötig.

Das NGE ist ein “symmetrisches” Konzept zur “Krisengerechtigkeit“. Ansonsten kommt es zu einer gigantischen Umverteilung hin zu Miet- und Zinseinkommensbeziehern, da deren Einkommen ungehindert weiterlaufen bzw. zwischenzeitlich durch zusätzliche Kreditaufnahme anderer finanziert werden, während aufgrund der Maßnahmen der Regierung zur Krisenbewältigung viele ihr Einkommen für eine Zeit lang unwiederbringlich einbüßen.
Das NGE ist vergleichsweise einfach zu finanzieren, da es sich auf einem relativ geringen Finanzierungsniveau bewegt. Ich rechne mit € 50 MRD mehr auf die bestehenden Ausgaben des traditionellen Sozialsystems. Allerdings: Gesundheit hat in der momentanen Krise eine besondere Rolle, weswegen die Ausgaben des Gesundheitswesens und der damit verbundene Teil des Sozialversicherungssystems natürlich extra betrachtet werden muss.

Mit dem NGE wird eine Basis des Verbrauchs finanziert, der selbstverständlich auch in der Krise nötigt ist.

Die darauf aufbauenden wichtigen Geschäfte können natürlich weiterhin Arbeits-, Gewinn- und Kapitaleinkommen erwirtschaften.
Asymmetrie entsteht in der Krise durch diese weiterlaufenden Tätigkeiten und vor allem notwendige Leistungen für Gesundheitsmaßnahmen und kritische Infrastruktur. Dafür muss der Staat auch bei einem NGE extra Töpfe aufmachen.

Der große Anteil unentgeltlicher Arbeit in der Gesellschaft – mehr als 50% aller geleisteten Arbeit – wird mit dem NGE ebenfalls sichergestellt. Dies betrifft z.B. die Sorgewirtschaft (Pflege, Kinder hüten, etc.) und damit eher eine klassische Domäne der Frauen. Das NGE ermöglicht Leben und damit auch Arbeiten, egal wie hoch deren Rentierlichkeit am Markt für „Investoren“ ist.

Das Krisensicherheit und Krisengerechtigkeit erzeugende NGE bildet die Basis in einem Reformkonzept der langfristigen Einführung eines ausgebauten bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) u.a. anstelle von Arbeitslosengeld und Basisrente. Das NGE kann im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Krise zu einem “partizipativen BGE” aufgestockt werden, das heißt zu einem BGE von ca. € 1200 bis € 1500 im Monat, da mit dem wieder einkehrenden „Normalbetrieb“ der Wirtschaft auch ein höheres Grundeinkommen finanzierbar ist. „BGE“ bedeutet in diesem Reformschritt dann entgegen dem Netto-Grundeinkommen zugleich Brutto-Grundeinkommen.

Bei einer nächsten Krise kann das BGE gleich einem „Krisenautomatismus“ wieder auf ein NGE heruntergefahren werden, womit die Bevölkerung grundsätzlich abgesichert ist.

Die alte Latrinenparole, das BGE sei nicht finanzierbar und würde zu Faulheit im großen Stil führen, lässt sich durch die Krisenerfahrung nicht aufrechterhalten.

Mal europaweit gedacht: Sehen Sie im BGE auch eine Lösung für die Menschen in den besonders betroffenen Regionen in Spanien und Italien?

Prof. B. Neumärker: In Spanien wird das bedingungslose Grundeinkommen bereits in Erwägung gezogen. Man sieht die beschriebenen Vorteile. Aber die politische Durchsetzbarkeit hängt an Politikern, die das Neue auch jetzt noch nicht denken können und im alten großteils neo-liberalen, einseitig oder zumindest dominant wettbewerblich ausgerichteten Wirtschaftssystem aus der Zeit vor der Krise verhaftet sind. Marktkonforme bzw. kapitalgelenkte Wirtschaftspolitik steht in Spanien vor allem wegen der Tatsache einer Minderheitsregierung auf der Kippe.

Ich würde auch im Hinblick auf den europäischen Zusammenhalt für die sogenannte Euro-Dividende plädieren, die europaweit als BGE ausgezahlt wird und auf nationale Sozialsysteme aufgesetzt werden kann. Der Betrag einer Eurodividende wäre z. B. € 250 pro Monat für jeden Bürger der EU. Dieser Betrag kann in der Krisenzeit durch Euro-Bonds und danach durch MwSt. oder – noch besser – durch eine Steuer auf die Integrationsgewinne finanziert werden, denn die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vor- aber auch Nachteile der europäischen Integration tragen ja alle Bürger mit. Dies ist eine Solidarität auch in dem Sinne der Toleranz, dass Integrationsgewinne heute recht ungleich verteilt sind. Man „toleriert“ auf internationaler Ebene die hohen Integrationsgewinne Deutschlands, dafür zeigen die Deutschen „Dankbarkeit“ für die ärmeren Regionen und Länder. Auch national werden mit der Euro-Dividende individuell unterschiedliche Integrationsgewinne und -verluste akzeptabel.

Durch die Coronakrise kommen auf alle Staaten Belastungen in nie da gewesener Höhe zu. Wie ließe sich das BGE gegenfinanzieren?

Prof. B. Neumärker: Im Vergleich zur immensen Schuldenaufnahme z.B. Deutschlands für allerlei Kredithilfen, die die Bürger langfristig wegen der Kreditrückzahlungen des Bundes und der Bedienung der aufgenommenen Kredite finanziell sowohl über das öffentliche Budget als auch privat knebeln und in Abhängigkeiten treiben, wäre die staatliche Kreditaufnahme in der Krisenzeit zur Finanzierung des NGE relativ gering. Die Finanzierung in der Krise wäre also durch Kreditaufnahme des Bundes vergleichsweise kommod.

In Post-Krisenzeiten kann das NGE zum BGE ausgebaut und durch MwSt. oder als negative Einkommensteuer finanziert werden. Die Bevölkerung wird diese Absicherung sicherlich goutieren und die Finanzlast nicht als zu hoch ansehen.

Ökonomen erwarten nach der Coronakrise eine schwere Wirtschaftskrise. Was würde das bedingungslose Grundeinkommen in der Situation einer stark gebremsten Wirtschaft bedeuten? Die Menschen hätten zwar Geld, es gäbe aber keine Waren zum Kaufen?

Prof. B. Neumärker: Solange die Wirtschaft nicht auf Leistung angefahren ist, bedient das Netto-Grundeinkommen die „Aufrechterhaltungswirtschaft“: Nahrungsmittel, Grundversorgung, Erhalt kritischer Infrastruktur. Die Regierung muss hier nur dafür sorgen, dass der dafür benötigte Handel aufrecht erhalten bleibt. Die Nachfrage ist ja durch das NGE grundsätzlich gesichert.

Je nachdem, wie schnell sich Wirtschaft und Gesellschaft (!) erholen, kann das NGE bis zum partizipativen BGE aufgestockt werden. Durch den Aufbau der Produktion gibt es dann ja mehr Güterkonsumpotential. Dabei haben die Menschen durch das bedingungslose Grundeinkommen aber auch noch Zeitsouveränität und Selbstbestimmungsoptionen hinzugewonnen. Damit wird zugleich Macht in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zum Individuum hin umverteilt. Die Bürger sollten sich das was kosten lassen.

Für wie realistisch halten Sie Ihre Szenarien? Wann wäre die beste Zeit, das bedingungslose Grundeinkommen umzusetzen?

Prof- B. Neumärker: Die beste Zeit ist jetzt und so schnell wie möglich.

Die Diskussion kommt immer mehr ins Rollen. Nicht nur in Spanien: Es laufen auch in Deutschland recht erfolgreich Petitionen, da vor allem für Selbständige, Kleinunternehmer, Künstler, aber auch Arbeitnehmer, die plötzlich entlassen werden, sich nicht hinreichend durch die unkonventionell konventionelle Politik geschützt sehen. Es besteht eine hohe Privatinsolvenzgefahr. Die Leute wollen nicht von der Gängelung scheinbarer Erfordernisse abhängig sein und nicht von der fraglichen Treffsicherheit einzelner Transferzahlungen und Kredithilfen, wo doch jeden Tag neue „Notwendigkeiten“ das bisherige Staatshandeln immer wieder obsolet machen und den Staat auch schwach werden lassen.

Dieses jetzige Vorgehen ist ein Muddling through der unstrukturierten Art und Weise, das abgestellt gehört. Wenn eine Vielzahl der Bürger das erkennt – und die BGE-Einführungsforderung kommt ja aus der Zivilgesellschaft – und wenn der Staat immer weniger strukturiert zu handeln weiß, hat das BGE eine Einführungschance, und zwar vor allem durch das NGE in der Krise.

Der anschließende Reform- und Verstetigungsschritt in der Postkrisenzeit wird auf den Erfahrungen mit dem Krisen-Grundeinkommen aufbauen können und folglich mehr Rückhalt in Gesellschaft und Politik haben als eine Einführung des partizipativen BGE in guten Zeiten. Die Krise ermöglicht einen begründbaren graduellen Aufbau statt einer Big Bang-BGE-Reform oder eines abgespeckten, nicht zeitgerechten partiellen BGE nur um des Willens erhöhter Implementierungschancen in einer Phase prosperierender Wirtschaft.

Arbeiten wie mit Grundeinkommen

Ursprünglich veröffentlicht auf tbd*

Über die Autorin: Ronnit Wilmersdörffer arbeitet seit fünf Jahren im Social Startup Sektor und verstärkt seit kurzem das Team der Expedition Grundeinkommen. Die Expedition Grundeinkommen initiiert und begleitet Volksabstimmungen für einen staatlichen Modellversuch des bedingungslosen Grundeinkommens. Übrigens sucht die Expedition momentan eine*n Frontendentwickler*in  – hier geht es zur Ausschreibung.

Wie kann man dem Purpose und den Menschen in einem Team gleichermaßen gerecht werden? Das ist keine triviale Frage: in der Wirtschaft und im sozialen Sektor gleichermaßen werden Aufopferung für die Arbeit (oder eben die Sache) oft erwartet oder zumindest ermutigt. Trotz New Work Methodik und agilen Mindsets bleibt das Wohlbefinden und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden in der Regel mittel zum Zweck zur Leistungssteigerung. Wie also sieht eine Organisation aus, in der menschliches Wohlbefinden mehr ist als ein großzügig ausgelegter Faktor in einer Effizienzfunktion?

Seit fünf Wochen bin ich Teil der Expedition Grundeinkommen, die sich dem politischen Vorantreiben des bedingungslosen Grundeinkommens verschrieben hat. Dahinter steht die Freiheit des Menschen als Selbstzweck, aber auch der Glaube, dass diese es den Menschen erst ermöglicht, positive gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Diese Haltung haben die Gründer*innen auch in der Organisationskultur fest verankert: Neben dem erwartbaren Drive, der Vision und der unternehmerischen Haltung ist der Erhalt von Selbstbestimmtheit – jenseits von sozialen Erwartungen und Leistungsdruck – ein bezeichnender Bestandteil der Organisationskultur. Das manifestiert sich auf unterschiedlichen Ebenen.

Zum einen werden die Rahmenbedingungen für die Mitarbeit – wie inzwischen ja vielerorts – individuell ausgestaltet. Zum anderen herrscht aber ein ehrlicher Respekt dafür, dass Menschen jenseits von Arbeit und Projekt Raum in ihrem Leben brauchen: für Hobbies, Familie, Beziehungen und für körperliche und mentale Gesundheit. Darum ist die reguläre Arbeitswoche nur 32 Stunden lang. Auch andere Elemente der Zusammenarbeit verändern sich, wenn die menschliche Komponente gleichberechtigt zur sachlichen Arbeit Raum findet. Im Team wird verhältnismäßig viel über Gemütszustände gesprochen, Unwohlsein oder Konflikte an Ort und Stelle thematisiert – das ist durchaus nicht immer angenehm. Doch es eröffnet eben auch Räume für Ursachenforschung, Rücksichtnahme, gegenseitige Unterstützung, Konfliktlösung und eine agilere, nachhaltigere Art des Zusammenarbeitens.


Die Gründer*innen der Expedition Grundeinkommen – Laura und Joy.

Es bleibt dabei immer ein Seiltanz, die individuellen Bedürfnisse aller Teammitglieder und die sachlichen Anforderungen unserer Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Denn wie überall sonst gibt auch in dieser Organisation tendenziell mehr Arbeit als Personal, Bottlenecks und harte Deadlines. Auch wir machen Überstunden, manchmal auch jenseits der Komfortzone. Der Unterschied ist aber dieser: Wenn die Baseline Selbstfürsorge und die nachhaltige eigene Wirksamkeit – und nicht Effizienz als Selbstzweck – ist, dann ist außergewöhnliche Belastung eher eine 45- als eine 65-Stundenwoche. Entscheidungen werden getroffen, die solche Situationen möglichst vermeiden und nicht billigend in Kauf nehmen. Der Raum für Selbstfürsorge wird von allen Teammitgliedern selbstbewusst eingefordert und nicht entschuldigend gerechtfertigt. Denn so stellen wir uns eine Arbeitswelt vor, in der Menschen aus eigener Motivation und nicht aus wirtschaftlichen Zwang teilnehmen. Und auf so eine Welt arbeiten wir schließlich hin.

Ursprünglich veröffentlicht auf tbd*

Enno Schmidt an der Finanz-Universität in Moskau, „Wachstum oder Rezession: Was ist zu erwarten?“

Auf Einladung der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation in Moskau, vermittelt durch die Russische Doktorandin an der Götz Werner Professur (GWP) an der Universität Freiburg, Alexandra Pilyus, reiste Enno Schmidt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der GWP zur Hundertjahrfeier der Universität zu dem internationalen Forum „Wachstum oder Rezession: was ist zu erwarten?“.

Ziel der Reise war es, auf dem Kongress Vorträge zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) zu halten, vor Ort mit Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, ins Gespräch zu kommen über Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung zum BGE und das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS), Aktivisten der Russischen Grundeinkommensbewegung zu treffen und den Aufbau einer FRIBIS Gruppe mit Professorinnen und Professoren der Finanzuniversität in Moskau zu beginnen.

In seinem Vortrag zeigte Joseph Stiglitz vieles auf und forderte einiges, worauf ein BGE eine Antwort sein könnte. Er zeigte zum Beispiel, dass die typischen finanziellen Anreizsysteme weder effektiv noch effizient sein, eher sogar kontraproduktiv, dass nicht materielle Anreize mehr Wirkung haben, dass Gesellschaften/Wirtschaften besser funktionieren und mehr erreichen, wenn die Ungleichheit gering ist und wenn gesellschaftliches/wirtschaftliches Handeln die Auswirkung auf andere mit berücksichtigt. Regeln und Normen, so betonte er, spielen eine große Rolle. Er analysierte und beklagte Instabilität und den Vertrauensverlust gegenüber Institutionen durch das ausbeuterische Verhalten des Finanzsektors. Der Sozialvertrag, so Stiglitz, sei gebrochen worden. Unsicherheit verlangsame den Fortschritt, behindere Innovation. Wirtschaftliche Sicherheit erhöhe die benötigte Risikobereitschaft. Die Wirtschaft müsse für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Wirtschaft.

Eine Erneuerung des Sozialvertrages? Vertrauen als gesellschaftliche Basis, mehr Stabilität und wirtschaftliche Sicherheit für alle? Erneuerung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Normen? Weniger Ungleichheit, Zurückfahren des Irrtums, dass finanzielle Anreizsysteme produktive Leistung generieren? Das alles passt zu einer Haltung, die ein bedingungsloses Grundeinkommen in Betracht ziehen kann.

Enno Schmidt erinnerte Herrn Stiglitz daran, dass er 2016 zur Volksabstimmung über die Einführung eines BGE in der Schweiz ein Statement abgegeben hatte: Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei für die Schweiz ein richtiger Schritt.
Diesmal allerdings war seine Meinung zum BGE eher unverständig und ablehnend. Er glaube nicht, sagte er, dass Menschen ohne eine sinnvolle Arbeit glücklich werden. Der Staat müsse dafür sorgen, dass jeder einen bezahlten Job finden kann. Ein Leben ganz ohne Arbeit, vielleicht in spiritueller Versenkung, das sei wohl nur für wenige attraktiv, meinte er. Es fehle außerdem am Geld für so ein Grundeinkommen. Geld sei knapp. Und das Grundeinkommen müsse ja hoch genug sein, um wirklich davon leben zu können.

In Russland ist das bedingungslose Grundeinkommen noch wenig bekannt und wird nicht diskutiert. Wer Geld will soll arbeiten. Gäbe es das Geld einfach so, würden die Leute nicht arbeiten und verkommen. Das ist einhellig und fraglos die Haltung gegen ein BGE. Zudem kommt den Menschen in Russland – wie auch in anderen Ländern des früheren Sowjet-Sozialismus – bei einem BGE als erstes der Kommunismus in den Sinn. Zwischen dem BGE und den Idealen des Kommunismus wird eine Ähnlichkeit gesehen. Unter der Zielsetzung dieser Ideale ist im real existierenden Sowjet-Sozialismus viel Blut geflossen, hat viel Leid und Unterdrückung stattgefunden. Das will man nicht nochmal. Wobei allerdings die Beurteilung der Sowjetzeit nicht so einhellig ist. Manche finden, es sei damals besser als heute gewesen. Man habe mehr Möglichkeiten gehabt, es sei gerechter zugegangen, es seien viele gute Errungenschaften nach dem Ende der Sowjetunion abgebaut worden. Aber auch heute sind die Menschen in Russland stolz auf ihre Leistungen und der Ansicht, dass sie es als Land ein bisschen besser machen als alle anderen. So, wie es die Menschen in anderen Ländern für sich auch in Anspruch nehmen.

Unter Vermittlung von Alexandra Pilyus hat sich in Gesprächen mit Enno Schmidt ein Team hochkarätiger Wissenschaftler der Finanzuniversität für eine FRIBIS-Arbeitsgruppe gefunden.

Die Vorstöße von Vladimir Putin zu einem garantierten Mindesteinkommen, höheren Renten, staatlichen Zuschüsse für Kinder und Familien etc. gehen in die Richtung einer Änderung des Sozialvertrages, in dem ein BGE nicht mehr völlig undenkbar ist, sondern sogar als Vereinfachung, Effektivitäts- und Effizienzsteigerung unter den gesteckten Zielen gesehen werden könnte.

Ein Freiburger Diskurs über Grundeinkommens

Im Rahmen der Freiburger Diskurse (Heinrich Röder) trafen am 25. Oktober 2019 in der Universität Freiburg Prof. Dr. Friederike Spiecker und Prof. Dr. Bernhard Neumärker für ein Streitgespräch über das bedingungslose Grundeinkommen aufeinander.

Frau Prof. Spiecker ist Co-Autorin des Buches «Irrweg Grundeinkommen» (mit Prof. Dr. Heiner Flassbeck), Herr Neumärker ist Inhaber der Götz Werner Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie und Gründungsdirektor des «Freiburg Institute for Basic Income Studies».

Bemerkenswert war, dass Frau Prof. Spiecker die Unterbewertung der Arbeit von Frauen und gemeinnütziger unbezahlter Arbeit generell, die erniedrigende und eher lähmende als fördernde Praxis der Hartz IV Gesetzgebung samt ihrer vergrößernden Auswirkung auf den Niedriglohnsektor, die strukturelle Arbeitslosigkeit und die prekärer werdende Arbeits- und Lebenssituation sehr vieler Menschen deutlich und empathisch sah und ansprach, für eine Lösung der Probleme aber auf das Primat der Erwerbsarbeitsplätze und auf die Forderung höherer Mindestlöhne zurückgriff. Wo man hinter die Problembeschreibung als Lösung hätte schreiben können: «bedingungsloses Grundeinkommen», setzte sie auf die alten Rechenarten der Ökonomie.

Prof. Neumärker griff Aussagen ihres Vortrages auf, um die alte Denkungsart zu entzaubern und sie in ein logisches Verständnis des bedingungslosen Grundeinkommens zu überführen.

Weitgehend einig waren sich beide in der Problembeschreibung, diametral entgegengesetzt in der Lösungsperspektive.

Von Enno Schmidt